Die große Liebe – ein hartnäckiger Mythos

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Es gibt wohl kaum ein Thema über das so viel geschrieben, gesungen und nachgedacht wird, wie über die „große Liebe“. Die Sehnsucht, den einen Seelengefährten zu finden, der Dich endlich in den Hafen der Glückseligkeit einlaufen lässt, ist unendlich groß. In diesem inneren Sehnen und Suchen befindest Du Dich in einer Art Warteschleife zwischen der Hoffnung, dass Du ihn triffst und der Befürchtung, dass es ihn gar nicht gibt. Was wäre, wenn Du für immer allein bleibst? Geht die Welt dann unter? Hast Du dann versagt? Man kann diesen Zustand als Liebesglauben bezeichnen. Es ist eine Form verirrten mythisch-archaischen Denkens, das in uns fortlebt und das, ähnlich der Wirkung von Märchen, weiterhin eine unglaubliche Kraft und Anziehung ausübt. Was bedeutet verliebt sein und was genau geschieht in uns? Nach dem anfänglichen Sturm der Hormone, der sich mit den archaischen Wünschen des Reptiliengehirns nach einer eigenen Herde (Fortpflanzung + Hormone) paart und einhergeht mit der Angst vor dem Alleinsein, die für den Urmenschen in uns gleichbedeutend mit dem sicheren Tod ist (Ausschluss aus der Herde), gibt es manchmal einen Funken in der Seele, der erglüht beim Anblick eines anderen. Je nachdem wie viele Erdenjahre Du gelebt hast und wie intensiv Du Dich mit Selbsterkenntnis beschäftigt hast, flachen mit den Jahren die hormonellen Einflüsse ab und die Möglichkeit besteht, dass Du Dich dem wahren Schatz zuwendest, den der Geliebte für Dich birgt: Selbsterkenntnis in Hülle und Fülle. Zumeist passen die Schmerzmuster des Partners perfekt zu den eigenen verdrängten Seelenanteilen.

Die Reise zu Dir selbst ist der eigentliche Ausgangspunkt für jede Partnerschaft, die mit der Bereitschaft beginnt Dich ehrlich anzuschauen. Doch, wer ist schon so mutig, sich der inneren Leere und der Bodenlosigkeit der eigenen Existenz zu stellen?

Wer ist wirklich bereit und in der Lage, sich die Textur und den Geschmack der Einsamkeit auf der Zunge zugehen zu lassen, ohne in Beschäftigungswahn, essen, telefonieren etc. zu verfallen. Ganz abgesehen von der Bereitschaft sich selbst schonungslos anzusehen, wie wir lügen, in Rollen verfallen und uns selbst gerne etwas vorspielen. Dich zu beobachten, den unsteten Geist mit zärtlicher Aufmerksamkeit zu bedenken und zu sehen, wie Du beständig versuchst, ein Pflaster auf die innere Leere zu kleben, bedarf Kraft und Entschlossenheit, denn dieses innere energetische Leck ist süchtig nach dem Erfüllt werden.

Halte einen Moment inne, wenn Du magst, nimm Kontakt zu Deinem Atemstrom auf. Beobachte das unwillkürliche Ein- und Ausströmen des Atems. Erspüre den Hauch von Stille und Entspanntheit. Oder ist Dein Geist rastlos? Wie auch immer Deine innere Befindlichkeit jetzt ist, nimm diese an, wie sie ist! Ohne Urteil. Lächele in Dich hinein und beginne freundlich mit Deinem Istzustand umzugehen.

Heutzutage hat die Suche nach einer Partnerschaft für viele Menschen Warencharakter bekommen. Uns wird suggeriert, dass wir alles jederzeit und überall per Internet bekommen können, nur einen Mausklick entfernt. Wir leben in einer weitgehend entsakralisierten Welt, in der der Materialismus scheinbar gesiegt hat. Die Liebe erscheint als letzte Bastion des postmodernen Menschen, in der Glück und Zauber noch zu finden ist. Eine Art Ersatzreligion und dank aller Liebeslieder, -romane und -filme eine Form von hartnäckiger Massenhypnose. Das einfachste Pflaster, um die Leere und Bodenlosigkeit Deines Lebens nicht spüren zu müssen, ist die Sucht und Suche nach Partnerschaft und der biologisch-archaische Wunsch nach Paarung. Wie ähnlich die Worte Suche und Sucht sind! Beide beinhalten abhängig zu sein, von anderen, von Wünschen und Sehnsüchten, um der inneren Leere zu entkommen und sich nicht mit sich selbst beschäftigen zu müssen. Partnerschaft ist allerdings eine freiwillige Therapie auf Zeit – in den meisten Fällen wird diese aufgrund vieler falscher Erwartungen eher ein Tor zu Hölle als ein Quell der Selbsterkenntnis, weil die Projektionen nie enden.

Woher kommt der Liebensglauben?

Der Glaube, dass das Glück im Außen zu finden ist, wurde geprägt durch eine Jahrtausende lange, falsch verstandene, monotheistische Religion, die Heilsversprechen und ewige Glückseeligkeit an einen fernen Gott knüpfte, der irgendwo im Himmel über unser Tun wacht. Dieser materialistische und veräußerlichte Restanimismus prägt unser Sein stärker, als wir es wahrhaben wollen. Der mexikanische Schriftsteller, Octavio Paz erklärt in seinem hervorragenden Essay: Die doppelte Flamme, warum wir, kulturell bedingt, derart auf einen Partner (wie auf einen Gott) fixiert sind: „Die abendländische Konzeption der Liebe ähnelt mehr dem der Araber und Perser als der Indiens und des Fernen Ostens. Das ist nicht verwunderlich, denn beide leiten sich her … sind Abweichungen – von zwei monotheistischen Religionen, und beide teilen den Glauben an eine persönliche ewige Seele.“ (Bibliothek Suhrkamp, S. 102)

Der mythische Aspekt unseres Seins spiegelt sich in dem innigsten Wunsch der Seele sich mit sich und allem eins zu fühlen und bedingungslose Liebe zu erfahren. Durch oben beschriebenen kulturellen Hintergrund wurde daraus der Glaube, dass ein anderer (vorher Gott) diese Rolle erfüllen kann. Dieses innere Sehnen, die große Leere ist der wesentliche Antrieb nach einer Partnerschaft zu suchen, wenn man die biologisch-archaische Ebene weglässt.

Wenn Du jetzt in Dich hineinzuspürst, kannst Du diesen Seelenwunsch nach Einheit wahrnehmen, der auch jenseits von einem anwesenden Partner existiert? Kann ein sterbliches Wesen diese Sehnsucht wirklich erfüllen? Gibt es die bedingungslose Liebe unter sogenannten Liebenden? Ist dieser Wunsch nicht eine Überforderung an sich?

Wer spirituelle Meister erlebt hat, die als Kanal für diese Energie dienen, die wir Menschen Liebe nennen, wie Braco (Kroatien), Amma & Baghavan (Oneness University), Mutter Meera, der spürt, dass es eine unendliche Quelle des inneren Friedens, der bedingungslosen Liebe existiert, die jenseits aller Begrifflichkeiten in uns selbst vorhanden ist. Die Sehnsucht nach Einheit und der Urwunsch, so geliebt und angenommen zu werden wie Du bist – jenseits von Unfrieden, Konflikten, den menschlichen Erwartungen an Dein Verhalten, sei es in Freundschaft oder Partnerschaft – ist die Triebfeder das Leben in einem Suchmodus zu verbringen: sei es nach dem Anderen oder nach den Höhenflügen in spirituellen Selbsterfahrungsseminaren oder Extremsportarten. Viele Menschen philosophieren über die Liebe, als sei sie eine Wesenheit mit eigener Existenz, ohne dass sie je gesehen oder wissenschaftlich nachgewiesen wurde. Tausend Herzen seziert und keine Liebe gefunden! Ganz ähnlich ergeht es den Gedanken: tausend Gehirne seziert und keinen Gedanken wissenschaftlich nachgewiesen. Wir können Ströme und elektrische Impulse im Gehirn messen und wissen, dank der Neurowissenschaftlerin Tanja Singer von der ETH Zürich, dass wir Empathie trainieren können. Daraus schlussfolgernd lässt sich ableiten: wer Empathie trainieren kann, der kann auch das Lieben lernen. Dazu braucht man nicht unbedingt Menschen. Tiere sind nicht nur durch ihr Fell, dessen Berührung unserem Reptiliengehirn Schutz und Wärme suggeriert und wissenschaftlich nachgewiesen, den Stresspegel im Gehirn senkt, sondern durch ihr Sein im Hier und Jetzt so gute Trainer für den Menschen, der vielleicht in diesem Leben keine Partnerschaft leben kann oder will. Das Wort Tier stammt aus dem Lateinischen animus (englisch = animal) und bedeutet Seele, was sehr kurios ist, wenn Du länger darüber nachdenkst. Über Dein Haustier bist Du in der Lage mit Deiner Seele auf einer nonverbalen Ebene in Kontakt zu treten. Sie spiegeln uns. Wer länger mit diesen Seelenwesen zu tun hat, wird bestätigen, dass sie für uns innerseelische Themen tragen (siehe mein Artikel: Tierhomöopathie). Das in spiritueller Literatur so oft beschriebene Hier und Jetzt, erfährst Du in der Beobachtung und im Zusammensein mit Tieren und kleinen Kindern. Der Wassertropfen am Fenster, das herabfliegende Blatt – die Wunder und Mysterien, die uns täglich umgeben und die wir häufig verlernt haben, zu spüren und zu sehen.

Deepak Chopra schreibt in: „Das Geheimnis des Lebens“, dass das Gehirn zwar in der Lage ist seelische Verfassungen, Depression, Begeisterung, Trauer in bestimmten Regionen zu verarbeiten und das ist messbar, aber wo ist der Mensch und sein Bewusstsein lokalisiert? „Das ist eine aufregende Entdeckung, denn wenn sich Ihr wahres Selbst nicht in Ihrem Kopf befindet, sind Sie ebenso frei wie das Bewusstsein, und diese Freiheit ist grenzenlos.“ (S. 81)

Die revolutionäre Bedeutung dieser neurologischen Wahrheit ist tiefgreifend, dass wir uns fragen müssten: Was ist Wirklichkeit überhaupt? Gibt es eine Wirklichkeit außerhalb meiner geistigen Vorstellungen, Glaubenssätze und Gedanken? Und daraus schlussfolgernd: Gibt es die Liebe als energetische Form außerhalb unseres Selbst? Viele materialistisch denkende Menschen haben mit dem Begriff Glauben, sowie energetischen geistigen Phänomenen große Probleme, was deren „tatsächliche“ Existenz angeht, aber der Liebesbegriff wird nicht grundsätzlich hinterfragt.

Woher stammt das Wort Liebe?

Interessant wird es, wenn wir uns die Etymologie des Wortes Liebe ansehen. Liebe wird unter anderem aus der indogermanische Wurzel *leubh = gern haben, begehren, loben abgeleitet. Im germanischen bedeutet es: Zutrauen, Vertrauen, Glaube. „Das Wort glauben kommt von mittelhochdeutsch gelouben, althochdeutsch gilouben ‚für lieb halten‘, ‚gutheißen‘ und geht mit den verwandten Wörtern Lob und lieb u. a. auf die oben genannte indogerman. Wurzel leubh zurück. Der gleichen etymologischen Wortfamilie gehören aus anderen Sprachen auch englisch be-lieve ‚glauben‘, lateinisch libet ‚es beliebt‘, ‚ist gefällig“ ( Quelle: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, dtv, S. 798). Damit sind die Wörter Liebe, Glauben und Vertrauen sprachlich verwandt.

Kannst Du die geistige Dimension dieser inneren Verwandtschaft begreifen und nachvollziehen? Geht es nicht beim Lieben und Glauben letztendlich immer darum zu vertrauen, Dir selbst zu trauen? Nicht umsonst benutzt man für das Wort Heirat auch „Trauung“. Leider ist nur die geistige Dimension des Lebens abhanden gekommen, sonst würden wir uns erinnern, dass es darum geht, unserer Seele zu trauen, wenn sie ihren Spiegel wählt. Wer Du in Kontakt mit Deinem innersten Wesen, mit der Quelle Deines Seins bist, spürst Du jenseits aller Worte, dass dieser Weg immer nur ein Weg zu Dir selbst ist – mit oder ohne menschlichen Spiegel oder Tierseele an Deiner Seite.

Lasse Dich einen Moment von Deinem Atem davontragen, spüre das Fließen des Atemstroms, ein- und ausatmend, ohne Dein Zutun geschieht es einfach…. spüre die Energie in all Deinen Körperteilen. Es atmet Dich…

Auch das Wort Atem (aus dem Sanskrit = atman) bedeutet Seele, deshalb sind Atemübungen so wirksam, denn sie können Dich mit dem Sein auf einer energetischen Ebene verbinden. Liebe und Glauben wollen einen Weg nach Innen weisen, den die wenigsten gehen wollen. Allgemein verstecken wir uns gerne hinter der Veräußerlichung: Gott im Außen, die große Liebe im anderen oder der andere ist das Problem. Dabei werden wissenschaftliche Erkenntnisse der Gehirnforschung ausgeblendet, wie zu Zeiten Galileo Galileis. Wie viele hundert Jahre wird es noch dauern, bis wir erkennen, dass es außerhalb von unserem Bewusstsein nichts gibt?

Salvador Dalí sagte: „Eines Tages wird man offiziell zugeben müssen, dass das, was wir Wirklichkeit getauft haben, eine noch größere Illusion ist als die Welt des Traumes.“ Die Außenwelt als Spiegel unserer inneren neurologischen Wahrheit. Bist Du bereit neue Impulse wahrzunehmen, die der Lebensfluss Dir bietet oder verharrst Du im Gefängnis Deiner Glaubenssätze? Im Grunde gilt das Sehnen nach der „großen Liebe“ dem inneren Seelenwunsch nach Einswerdung, dem Verschmelzen mit der Urquelle allen Lebens. Im Spanischen besteht das Wort amar = lieben umgekehrt gelesen aus den ägyptischen Anrufungsilben RA (Sonnengott) MA (Mondgöttin), in diesem Prozess des Liebens verbirgt sich der Seelenwunsch nach Vereinigung beider Kräfte. Die Sprache spiegelt unser Bewusstsein und unsere inneren Wünsche. Octavio Paz formuliert: „Wir lieben zugleich einen sterblichen Körper, der Zeit und ihren Wechselfällen unterworfen, und eine unsterbliche Seele. Der Liebende liebt den Körper und die Seele gleichermaßen…. der Liebende, würde er nicht vom Körper angezogen, die Seele, die diesen beseelt, nicht lieben könnte. Für den Liebenden, ist der Körper, den er begehrt, Seele; deshalb spricht er zu ihm in einer Sprache jenseits der Sprache, die jedoch völlig verständlich ist, nicht zwar der Vernunft, aber dem Körper, der Haut. Ihrerseits ist die Seele fühlbar; wir können sie berühren und ihr Hauch (…) wärmt unseren Nacken. Alle Liebenden haben diese Verwandlung des Körperlichen ins Geistige (…) gespürt… Einige Dichter haben es gesagt: …ihr Blut, rein und beredt, in Ihren Wangen sprach’s so angestrengt, dass man fast sagen kann, ihr Leib er denkt.“ John Donne (aus Octavio Paz: Die doppelte Flamme, S. 155)

Finden sich zwei Menschen mit dem beschriebenen Bewusstsein, die achtsam und zärtlich mit sich sind und die jene innere Bereitschaft haben, sich selbst anzunehmen, wie sie sind, dann kann eine Partnerschaft der Himmel auf Erden sein.

In diesem Sinne wünsche ich Dir den Mut zur Selbsterkenntnis und die Kraft Deinen eigenen Weg zu gehen – mit oder ohne menschlichen Spiegel an Deiner Seite!

Gott in Deinem Herzen zum Gruß!

Cordis Sophia